Vorfreude – oder die Flugübung

Abendstimmung in der Zlátá ulička

Abendstimmung in der Zlátá ulička

In bitterkalter Winternacht durchstreife ich zum wiederholten Male die Alchimistengasse auf dem Prager Hradschin, als ich bemerke, dass ein Fenster von Haus Nummer 22 ein fahles Licht ausströmt. Langsam nähere ich mich an das Fenster an. Eisblumen bewachen das Dahinterliegende vor dem Verlangen meines um Deutlichkeit bemühten Blickes, brechen die in einem schmutzigen Gelb sich darbietenden Konturen im Inneren de Hauses wie ein Prisma zum Traume.

Kräftig strafft sich mein Hals , will die Augen über den Eisrand tragen, als ich im Dunkel des hinteren Teils des Raumes schon einen Mann bemerke, wie er gerade im Begriff ist die letzte Schaufel halb voll Kohlen aus einem metallenen Eimer in das rot glimmende Ofenloch zu werfen, gleich darauf das leere Behältnis umzudrehen – er vollführt dabei einige Bewegungen die an das Aufzäumen eines Pferdes denken lassen – um es für die Aufführung ungeschickter Flugübungen zu missbrauchen.

Nach einigen Abstürzen, die glimpflich abgehen, scheint ihm der Kübel nun besser zu gehorchen und er wagt sogar in den zweiten gänzlich unbeleuchteten Raum zu fliegen, von wo er nach einigen Momenten mit heiterer Mine in den Luftraum vor dem Ofenloch einschwebt und die langen, dürren Beine zu einem Fahrgestell ausfährt, wie es sonst nur einem deutlich moderneren Fluggerät eignet. Allerdings wird er, noch ungeübt in solchen Dingen, bei der Landung doch etwas von der Geschwindigkeit überrascht mit welcher er meinte durch sein Haus fliegen zu müssen, so dass er seinen schlacksigen Körper auf engstem Raum abrollen muss, um nicht, so plötzlich gebremst, längs hinzuschlagen. Es gelingt prächtig in gestreckten Stand!

Als Freund artistischer Darbietungen möchte ich Beifall klatschen, besinne mich aber eben noch so der Lächerlichkeit eines solchen Tuns hier in der einsamen kalten Gasse. Inzwischen hat der Kübelreiter an seinem, im rechten Winkel zur Fensterwand stehenden Schreibtisch Platz genommen. Als ich kräftig ausatme, um mich der Spannung, mit der mein Körper die Aufführung verfolgt hat, zu begeben, tauen die Eisblumen auf dem Fensterglas, da auch mein Gesicht sich sehr an die Scheibe angenähert hat. Da wendet der Mann seinen Kopf zum Fenster, als meinte er etwas zu erblicken.